2018 Rumänien - vokra.de

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2018 Rumänien

Auf Tour
Vom 24. Juni bis 9. Juli 2018
Auf durchweichten Wegen zu pittoresken Kirchenburgen

900 Kilometer mit dem Rad von der Walachei über die Karpaten nach Siebenbürgen

Ankunft am Flughafen Bukarest: Beim Auspacken und Aufbau der Räder wie immer die gleiche spannende Frage: Gibt es Schäden durch den Lufttransport und wie groß sind sie? Doch auch diesmal haben wir Glück und können zügig starten.
Bei feinstem Sommerwetter geht es durch die Walachei auf ziemlich direktem Weg zu den Karpaten.
Auf vielen Kilometern begleitet uns ein Meer von Sonnenblumen, die ihre prächtigen Köpfe scheinbar immer in unsere Richtung recken.
Später verändert sich das flache Land. Wir durchqueren ehemalige Ölfelder, die meisten Pferdekopfpumpen nicken nicht mehr. Das Land scheint vom Öl verseucht zu sein, unzählige Elektromaste ragen kahl in den Himmel.
Diese beiden Fotos im Stadtbereich von Pitesti zeigen denselben Radweg in einem Abstand von ungefähr 200 Metern.
Wir wittern EU-Förderung, die diesen tollen 2-spurigen Weg ermöglicht hat, aber an einem Grundstück abrupt auf eine Grenze gestoßen ist. Nach Umfahrung dieses Grundstückes geht es auf einem Wiesenpfad weiter, der an manchen Stellen schlicht unbefahrbar ist.
Die geschwungene Bergkette der Karpaten bildet die markante Grenze zwischen der Walachei und Siebenbürgen. Beim Aufstieg werden wir mit konstantem Regen empfangen. Auf den geteerten Serpentinen ist das nicht weiter störend. Allerdings fragt man sich zwischenzeitlich, ob die Nässe am Körper von innen oder außen kommt.
 Die Umfahrung einer Talsperre auf 850 m Höhe verläuft auf nicht ganz so befestigten Wegen. Es ist schnell klar: Die Nässe kommt auch von unten…
Auf der Passhöhe der Transfăgărășan-Straße durchbohrt ein 1000 Meter langer unbeleuchteter Tunnel den Scheitel. Vor dessen Durchquerung wurden wir als Radfahrer besonders gewarnt. Für uns kein Problem, denn wir sind fast die Einzigen, die bei diesem schlechten Wetter die Passstraße befahren. Im Hochsommer muss das wohl hier auf gut 2000 Metern ganz anders aussehen.  
Der Blick auf die nördliche Seite dieser Passstraße ist ernüchternd. Nur in kurzen Momenten schieben sich die Regen verhangenenen Wolken beiseite und geben den Blick auf die wahnwitzigen Serpentinen frei. Dort unten liegt  Siebenbürgen. Bei ungemütlichen 9 °C starten wir die Abfahrt und erst eine gute Stunde später kommen wir mit klamm-tauben Fingern zum Stillstand. Wegen des schlechten Wetters brauchten wir die Straße mit kaum einem anderen Fahrzeug zu teilen.
In der Brukenthal-Orangerie von Avrig machen wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit der von deutschen Auswanderern geprägten Kultur Siebenbürgens. Trotz der großen Vertreibungswelle nach dem 2. Weltkrieg und der freiwilligena Auswanderung nach dem Ende des Kommunismus gibt es immer noch eine deutsche Minderheit in dieser Region. Die deutschsprachigen Relikte, auf die man allerorten stößt, stammen jedoch allesamt aus einer besseren (?) Zeit.
Über schöne Nebensträßchen erreichen wir das verschlafene Nest Kastenholz (Cașolț). Das Dorf wirkt wie ausgestorben, und es fällt deutlich der Unterschied zu den Dörfern südlich der Karpaten auf. Die Häuser stehen hier wie gewürfelt eng an eng. Keine Bänke vor den Häusern, auf denen sich abends die Bewohner zu einem Plausch niederlassen könnten.
Von hier aus verläuft der ausgewiesene Radweg talabwärts und entlang der ehemaligen Kleinbahn „Wusch". Der Weg ist unbefestigt und entpuppt sich als Teststrecke für Geländefahrzeuge. Tiefe Schlaglöcher und aufgeweichter Sand. Irgendwann dreht sich Volkers Hinterrad nicht mehr, der Schlamm hat sich zwischen Reifenprofil und Schutzblech verdichtet. Die Kette ist von einer hellbraunen Suppe getränkt und verursacht üble Geräusche. Die Räder sehen aus wie „Sau“!
Ein Pferd grast zwischen den verlassenen Schienen. Später erfahren wir mehr über die regionale Bedeutung der „Wusch“ genannten Kleinbahn. Gerade hier in Cornăţel gab es vor einigen Jahren ein Fest, bei dem von irgendwo her eine Dampflok samt Waggon organisiert wurde und die Strecke nochmal für ein paar Kilometer befahren wurde. Es gibt tatsächlich einen Verein, der sich für den Erhalt der Trasse einsetzt.
Kaum haben wir Hermannstadt hinter uns gelassen, zeichnet sich eine grundlegende Wetteränderung ab. Ein paar kleine Schauern noch, dann setzt sich die Sonne durch. Wie es scheint, dürfen wir das weitere (für deutsche Augen) pittoreske Siebenbürgen im Sommerglanz erleben.
Wenn das kein Grund zum Anstoßen ist!  
Die für Siebenbürgen typischen ersten Kirchenburgen lassen auch nicht lange auf sich warten. Die Auswahl fällt schwer. Viele sind aufwändig saniert worden (von welchem Geld eigentlich?), aber nur die wenigsten sind frei zugänglich. Die Suche nach einer Person mit Schlüssel ist manchmal unerquicklich und wir müssen uns mit Fotos von außen zufrieden geben.
Einmal haben wir so richtig Glück: In Bărcuț bekommen wir auf hartnäckige Nachfrage von Peter eine interessante Führung in der dortigen Kirchenburg durch den deutschsprachigen und engagierten Pfarrer Johannes Klein. Er zeigt uns das Kirchenschiff und wir können bis oben in den Turm klettern. Dann ruft er noch seine Organistin (Christiane Neubert), die auf die Schnelle der alten Orgel einige Takte entlockt. Sie tut sich am Anfang etwas schwer, da die Orgel erst kurz zuvor repariert wurde und noch nicht von ihr eingespielt ist. Der Pfarrer kommt eigentlich aus Făgăraş (Fogarasch), doch hier - rund um diese Kirchenburg - organisiert er seit einigen Sommern eine Kinderspielstadt. Bis zu 150 Kinder kommen hier im Wochentakt her und erleben deutschsprachige Kultur- und Freizeitangebote. Seine Informationen über die Kirche und die deutsche Minderheit Siebenbürgens sind hochinteressant.
So wie hier zwischen Cobor und Libert breitet sich die für Siebenbürgen typische Hügellandschaft aus. Im Dunst des Hintergrunds sind die Höhen der Karpaten zu erkennen.
Charakteristisch die unberührt wirkenden Wiesen, die offensichtlich in diesem Jahr noch nicht gemäht wurden und die von einem bunten Meer von Feldblumen bedeckt sind.
         
In Deutsch-Weißkirch  (Viscri) rät unser Gastgeber für das Abendprogramm auf der Kreuzung den Viehtrieb zu erleben. Wie bestellt und von Zauberhand geleitet bildet sich am   Ende der Straße im Licht der untergehenden Sonne eine Staubwolke. Aus dieser Wolke löst sich an vorderster Front eine Herde von Ziegen. Unmittelbar dahinter folgen Kühe, Rinder sowie Pferde. Das Ganze wird von einem Muuh-Konzert begleitet. An der Kreuzung trennt sich die Herde, berittene   Männer versuchen lenkend einzugreifen. Offensichtlich gehören die Kühe verschiedenen Besitzern und jede Kuh weiß, zu welchem Haus sie laufen muss. Fast jede Kuh weiß das… Das Spektakel dauert eine Viertelstunde, dann legt   sich der Staub wieder auf die Straße und im Dorf kehrt Ruhe ein.
Die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch (Viscri) ist UNESCO-Weltkulturerbe. Es gibt feste Öffnungszeiten und eine Dame am Eingang kassiert Eintritt. Gut, dass wir morgens die ersten Besucher sind. Als wir uns an dem alten, schön restaurierten Gemäuer satt gesehen haben und den Ort verlassen, kommt uns ein respektabler Reisebus mit asiatisch wirkenden Insassen entgegen…
Für den Weg nach Schäßburg (Sighișoara) gibt es für uns ziemlich genau zwei Möglichkeiten: Die Schnellstraße (nicht akzeptabel) oder eine „Abkürzung“. Dieser Weg wurde uns von Einheimischen empfohlen, doch selbst mit MTB-Reifen ist der nicht zu bewältigen. Wir müssen ein ganzes Stück zurück, doch das Navi zeigt schon seit einiger Zeit weiße Flecken. Zu dem nur 20 km entfernten Ziel schlagen wir uns dann querfeldein durch. Der Preis: Volkers Sandalen sind unbrauchbar geworden, weil im Schlamm eine Sohle vom Schuh stecken geblieben ist…
Wegen der Irrfahrt am Tag zuvor haben wir für das schöne Schäßburg kaum Zeit – es reicht nur für einen kurzen Rundgang durch die Altstadt. Am nächsten Morgen haben wir nochmal einen schönen Blick auf die Hauptattraktion: Den Stundturm.

Selbst Fuhrwerke dürfen die Innenstadt nicht passieren. Wir können froh sein, dass Fahrräder noch erlaubt sind.
Die Vielfalt unserer nächtlichen Unterkünfte wäre schon einen eigenen Bericht wert.
Hier in Sereda sind wir in einem Hochzeitshotel untergekommen. An dem 15 Meter langen Tisch sind wir die einzigen Gäste. Das Frühstücksbuffet rechts hätte auch für eine Hochzeitsgesellschaft gereicht.
Das wird von nur noch von der nächsten Unterkunft getoppt: Dem ****Castelul Haller in Ogra. Die Ausstattung des Zimmers strahlt einen herrschaftlichen Charme aus. Die frischen und schneeweißen Handtücher sind auf den Betten zu Schwänen gewunden.
Im Treppenhaus empfängt uns eine Frau, deren Attraktivität wir nach so langer Abstinenz nicht widerstehen können…  
Da sie sich für keinen von uns entscheiden kann, lassen wir sie nachts auf ihrem Sockel.
Ocna Mureș (Miereschhall): Hier im Ort wurde lange Zeit bergmännisch Salz abgbaut. Nachdem die Mine erschöpft war, versuchte man in den 80er Jahren die Hohlräume zu fluten, was wohl zur Folge hatte, dass die darüberliegende Deckschicht zusammenbrach und große Teile der Innenstadt zerstört wurden. Fördertürme und Industriebrachen stehen noch und zeichnen in der Abenddämmerung ein gespenstiges Bild.
Die Etappe nach Turda wollen wir auf der fast fertigen, aber noch nicht eröffneten Autobahn absolvieren. Das nagelneue und einsame Teerband ist verlockend und würde tolle Fotos abgeben; es wäre zudem der schnellste Weg zu unserem Tagesziel. Aber Zäune und ein unter der Brücke parkendes Security-Auto hindern uns daran.
Dann also doch auf den Track, was sich hier als wirklich gute Idee erweist. Der Weg verläuft über grasbewachsene Höhen mit toller Fernsicht. Einige Schafherden, sonst weit und breit keine Menschenseele. Diese endlos anmutende Weite und Einsamkeit ist einfach herrlich.
Gegen Ende der Tour hat das Wetter wieder umgeschlagen. Hier in Turda stört das aber nicht: Es bietet sich ein Besuch der Salinen an. Ein immens tiefes Salzbergwerk ist für Besucher zugänglich gemacht. Wir erschließen uns die Tiefe von 120m auf salzverkrusteten Holzstufen. Faszinierend die durch das Salz schlierenhaft gezeichneten Wände. Die Kirmesstimmung unten - der tiefste Freizeitpark der Erde - passt nicht besonders hierher, aber nur so kann sich wohl der große Aufwand der Investition (z.B. ein gläserner Fahrstuhl) lohnen. Leider gibt keins der Fotos das Monumentale der Räume wieder.
*
Fazit  
Das Fahren auf den Hauptstraßen war wie erwartet: Stressig und gefährlich. Unglaublich, warum diese wirtschaftlichen Lebensadern – vor allem in Ost-West-Richtung – immer noch 2-spurig sind und meist keinen Seitenstreifen haben. Und sich immer noch ohne Umgehung mitten durch die Orte und Städte quälen. Logisch, dass wir das Befahren so weit wie möglich vermieden haben. Wenn wir es dann doch gemacht haben, waren das dann solche Teile der Route, für die es keine Alternativen gab, noch nicht mal in Form von Wirtschaftswegen. So manches Mal haben wir uns gefragt, wie demnächst die Mähdrescher zu den Feldern kommen. Ein Netz von Wald- und Feldwegen, so wie wir es kennen, gibt es praktisch gar nicht.

Alle anderen Straßen haben uns positiv überrascht. Mäßiger bis wenig Autoverkehr, zwar nicht immer geteert, aber die Schlaglöcher auf den Schotterstrecken lassen sich ja mit dem Rad leichter umfahren als mit dem Auto.

Negative Vorbehalte gegenüber den rumänischen Menschen, wie sie mir von anderen im Vorfeld entgegengebracht wurden, ließen sich in keiner Weise nachvollziehen. Gut, als Tourist (auch als Radtourist) ist man letztlich auch immer ein gern gesehener, da zahlender Kunde, dem professionelle Freundlichkeit entgegengebracht wird. Und die Hochburgen des Tourismus, die weltweit klassischerweise Ziel von Kleinkriminalität sind, haben wir eh gemieden.

Rumänien ist im Kommen, das spürt man allerorten. Wie auch in anderen Ländern an den Rändern der EU fällt die Vielzahl der blauen Sternenflaggen auf, die auf großformatigen Schildern ein Bau-, Infrastruktur- oder Kulturprojekt ankündigen, dass es wohl ohne EU-Förderung nicht gegeben hätte. Keine Frage, dieses Land wird schon einige Zeit von dem lebendigen Charme postkommunistischer Aufbruchstimmung umweht. In vielleicht fünf Jahren würden wir bei einem erneuten Besuch vieles nicht mehr wiedererkennen. Hoffentlich geht dabei der ursprüngliche Charakter dieser durch viele fremde Kulturen geprägten Landschaft nicht verloren. Gerade bei den Kirchenburgen hatten wir den Eindruck, dass das Interesse für deren Erhalt eher aus dem Ausland kommt. Was wird dann aus den endlosen Wiesen, die so charakteristisch ganze Hügelketten bedecken und die von Schafherden kurzgehalten sind, wenn die Schäfer entdecken, dass es im Penny-Markt unten im Tal bessere Verdienstmöglichkeiten gibt?
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